Alzheimer: die Grenzen der Tiermodelle und neue Forschungsperspektiven
Dr. Francesca Pistollato European Commission, Joint Research Centre, Ispra (Italy) 

Das ist nur ein Auszug, der komplette Artikel ist auf der Seite 10-15

Derzeit leiden etwa 50 Millionen Menschen weltweit an Demenz, mit globalen Gesundheitsausgaben, die auf 900 Milliarden Dollar im Jahr geschätzt werden. Es existieren heute nur 4 zugelassene Medikamente, für die verschiedenen Krankheitsstadien bestimmt sind; sie bieten nur geringe Vorteile in der Symptombekämpfung, und das nur bei wenigen Patienten, jedoch bieten sie keinen langfristigen Nutzen.
Der Grossteil der pharmakologischen Forschung für Alzheimer hat sich auf Beta-Amyloid-Proteine konzentriert. Die Amyloid-Hypothese hat dazu geführt, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft enorme Ressourcen in die Entwicklung neuer Medikamente investiert hat, um der Ansammlung von Amyloid – Proteinen entgegenzuwirken. Es wurde jedoch festgestellt, dass die Bildung und Ansammlung von Amyloid-Proteinen, vielleicht gar nicht der Auslöser der Krankheit ist, und einfach nur eine Folgeerscheinung der Erkrankung ist.
Ein weiteres typisches Merkmal des Alzheimer-Syndroms ist die Ansammlung des phosphorylierten Tau-Proteins, das durch Amyloid-Plaques induziert wird, und zur Zerstörung neuronaler Funktionen führen kann. Doch trotz der früheren Erkenntnissen, scheint es, dass die Ansammlung des Tau – Proteins, trotz der Entfernung von Amyloid-Plaques fortschreitet. All dies deutet darauf hin, dass viele der molekularen und zellulären Aspekte des Alzheimer-Syndroms bis heute noch nicht vollständig verstanden sind.
Eine der möglichen Ursachen für den Misserfolg in der Alzheimer-Forschung, könnte man wohlmöglich gerade auf diese Überschätzung und Übernutzung von solchen Tiermodellen zurückzuführen. Transgene Mäuse, die häufig für die Untersuchung für Alzheimer verwendet werden, können einige Merkmale der Krankheit aufweisen, jedoch haben aber auch offensichtliche Grenzen; sie sind beispielsweise nicht in der Lage die klinische und pathologische Komplexität der Krankheit zu reproduzieren, so wie wir sie am Menschen beobachten können.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Tiermodelle auch dazu beitragen können, falsche Ergebnisse zu generieren, und die zum Ausschluss von klinischen Studien führen können, wobei deren therapeutische Zusammensetzung jedoch äusserst effizient sein könnte, und für den Menschen von grosser Bedeutung.
Die transgene Mäusemodelle, die heutzutage existieren, hauptsächlich dafür entwickelt wurden, um die frühzeitige Alzheimer-Krankheit zu erforschen, aufgrund familiärer Häufigkeit, oder genetisch bedingt. Diese Art von Alzheimer kommt selten vor (nur 3% der Alzheimer-Fälle). Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Alzheimer Erkrankung (97%), die nach dem 65. Lebensjahr auftritt; diese wird auch als "sporadisch" definiert, da sie nicht vererbt, wird, und auch auf kein spezifisches Gen zurückzuführen ist.
Zahlreiche Faktoren, die im Zusammenhang mit dem Lebensstil stehen, erhöhen das Risiko und das Auftreten von Alzheimer – darunter das fortschreitende Alter, Ernährungsweise (beispielsweise eine Ernährungsform, reich an gesättigten Fettsäuren, Proteinen tierischen Ursprungs, mit zu wenig pflanzliche Lebensmitteln), geringe körperliche Aktivität, verminderte kognitive Stimulation, niedriges sozioökonomisches Niveau, niedriges Bildungsniveau, Schlechte Schlafqualität, eine chronische Darmdysbiose, Luftverschmutzung, Rauch, Schwermetalle, Pestizide und Insektizide, und die Risikofaktoren, die im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen, und das metabolische Syndrom.
Es ist offensichtlich, dass es unmöglich ist, diese Faktoren im Tiermodell, wie der Maus, zu untersuchen, da sie ausschliesslich den Menschen betreffen. Wenn man sich den Bereich der modernen Toxikologie anschaut, wurde ein progressiver Paradigma-Wechsel vollzogen: In den letzten 20 Jahren wurde ein Übergang zu alternativen Forschungsmethoden ohne Tiere verzeichnet, bei denen in vitro-Modelle, und in-silico-Modelle bevorzugt werden. Beide zusammen, können eine grössere Relevanz zur Erforschung der Physiologie und der Toxikologie im Menschen hervorbringen.
Es gibt auch zahlreiche Werkzeuge und Modelle, die schon heute anstelle von Tiermodellen für die Alzheimer-Forschung verwendet werden können. Die Verwendung von ex-vivo Gewebeproben, aus Biopsien, Blutproben, Zerebrospinalflüssigkeit, und Leichengewebe, ermöglicht die Identifizierung der Biomarker der Erkrankung. Verschiedene, zunehmend fortschrittliche Neuro-Imaging-Techniken, stehen derzeit zur Verfügung, und könnten für nicht-invasive Studien verwendet werden, um medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsweisen zu erforschen. Es existieren auch zahlreiche Zell-Modelle (in vitro), beispielsweise die Modelle, die sich auf induzierte pluripotente Stammzellen (iPS genannt) basieren, die direkt vom Patienten gewonnen werden können, und in Neurone konvertiert werden.
Noch komplexere Gewebe-Systeme, allgemein als "Organ-on-Chip" bezeichnet, können verwendet werden, um einige Gewebestrukturen im Gehirn genauer zu reproduzieren, was eine realistischere Analyse physiologischer und pathologischer Prozesse ermöglicht. Zur Gen- und Proteinanalyse kann man heutzutage Technologien verwenden, die als "-omik" Wissenschaften, und Berechnungsmodelle definiert werden.
Die Integration all dieser Modelle und Werkzeugen, könnte zur Entdeckung der molekularen Signale der Krankheit führen, sowohl während des Ausbruchs, wie auch während des Krankheitsverlaufs. Zudem könnten neue therapeutische Ziele identifiziert werden, und die Bewertung von Effizienz und Toxizität neuer Medikamente, und das mit weniger Kosten- und Zeitaufwand.
Natürlich ist es wichtig, in die Optimierung und Qualifizierung dieser neuen in-vitro Modelle zu investieren, sowie in die Verbesserung der Qualität von post-mortem Gewebe, (Leichengewebe), durch die Schaffung von Zell- und Gewebebanken, die effizient und zeitgerecht arbeiten. Neben den technischen Herausforderungen gibt es unweigerlich auch Herausforderungen im Zusammenhang mit wissenschaftlichen und gesetzlichen Aspekten, wenn man bedenkt, dass neue gesetzliche Ansätze notwendig sind. Zudem müssen Industrie, Förderinstitutionen für Forschungszwecke und die wissenschaftliche Gemeinschaft davon überzeugt werden, eine ganzheitliche, multidisziplinäre und umfassende Veränderung herbeizuführen. Darüber hinaus sollte man viel mehr in die Prävention investieren, wenn man die Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Krankheitsentstehung bedenkt.
Auf europäischer Ebene gibt es einige Projekte, die von der Europäischen Kommission finanziert werden, und die sich bereits in die richtige Richtung bewegen.